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Grußadresse von Jochen Stay (X-tausendmal quer) an die Teilnehmer/Innen der Konferenz

Liebe Freundinnen und Freunde

Eigentlich hatte ich mir die Frankfurter Strategiekonferenz dick in den Kalender eingetragen, weil ich es für wesentlich halte, über die Grenzen der verschiedenen Protestbewegungen hinweg über Strategien und Formen des Widerstandes nachzudenken.

Jetzt bin ich doch nicht bei Euch. Der Castor ist mir dazwischengekommen.

Während Ihr in Frankfurt wichtige Diskussionen führt, sitze ich im Wendland mit vielen anderen auf der Schiene oder der Straße, um dem "Weiter so" in der Atompolitik - denn nichts anderes plant die große Koalition - unseren entschiedenen Widerstand entgegenzusetzen.

Was wir hier rund um Gorleben seit mehr als 28 Jahren erleben, ist so etwas wie eine ständige Widerstands-Werkstatt. Vieles, was inzwischen in unterschiedlichen Bewegungen gang und gäbe ist, wurde im Wendland erstmals ausprobiert. Viele aktive Menschen haben zumindest einen Teil ihrer politischen Sozialisation im Kampf gegen Atommüll-Lager und Castor-Transporte genossen.

Das Besondere, was das Wendland zu einem solch produktiven Widerstandslabor macht, ist der große Rückhalt, den selbst weitergehende Aktionen in der regionalen Bevölkerung genießen. Das unterscheidet unsere Situation von der im Rest des Landes.

Gleichzeitig weist das Beispiel Gorleben aber einen möglichen Weg, auch für andere Protestbewegungen. So wie die Forderung nach einem wirklichen Ausstieg aus der Atomkraft eine klare gesellschaftliche Mehrheit hat, so gibt es auch in anderen sozialen Kämpfen Forderungen, die relevante Teile der Bevölkerung hinter sich haben.

Ziel muss es nun meiner Ansicht nach sein, Aktionsformen zu finden, die über den rein demonstrativen Charakter hinausgehen, die schon einen Schritt in Richtung Widerstand bedeuten, aber gleichzeitig nicht so radikal sind, dass sie uns die Unterstützung aus der Breite der Bevölkerung nehmen. Es geht vielmehr darum, möglichst großen Kreisen den Zugang zu diesen Widerstandsformen zu öffnen.

Am geeignetsten erscheint mir dafür der massenhafte Zivile Ungehorsam, also die begrenzte Regelverletzung, gemeinsam mit vielen begangen, und dadurch einen gewissen Schutz vor Repression genießend.

Friedensbewegung und Anti-Atom-Bewegung haben es in den letzten Jahrzehnten vorgemacht, wie es gehen kann. Im letzten Jahr, auf dem Höhepunkt der Montagsdemos gegen den Sozialabbau, hatte ich das Gefühl: Jetzt wäre der Zeitpunkt, mit einer intelligenten Aktionsidee den Schritt zum massenhaften Zivilen Ungehorsam zu gehen.

Es gab diese Aktionsidee leider nicht. Ich kann sie euch auch heute nicht als Patentrezept präsentieren. Ich weiß nur aus meiner eigenen politischen Biographie, die mich seit Anfang der 80er Jahre durch verschiedene Kämpfe und Bewegungen geführt hat: Es gibt so etwas wie die Erotik der Tat.
Bewegungen erhalten dann Zulauf, können dann Druck entwickeln, wenn sie nicht nur eine aktuelle und vielen auf den Nägeln brennende Forderung haben, sondern auch Handlungsangebote machen, die attraktiv sind.

Und wann sind Aktionen attraktiv?

1.. wenn sie Stimmungen in der Bevölkerung aufgreifen,
2.. wenn sie öffentliche Aufmerksamkeit erregen,
3.. wenn sie Sympathien wecken und Identifikation ermöglichen
4.. wenn sie halbwegs niederschwellig sind, um vielen das Mitmachen zu ermöglichen,
5.. wenn sie trotzdem einen eindeutiger Akt des Widerstandes darstellen,
also nicht beim Protest stehen bleiben.

Ich möchte euch ermutigen, wenn ihr über Strategien und nächste Schritte nachdenkt, in diese Richtung zu denken. Und ich möchte euch anbieten, den heute durch meine Abwesenheit verhinderten Dialog in dieser Sache demnächst zu führen.

Noch zwei sachdienliche Hinweise: Einer für Kurzentschlossene, einer für länger Planende:

Der Castor-Transport soll erst in der Nacht von Montag auf Dienstag in Gorleben ankommen. Bis dorthin werden wir rund um die Uhr aktiv sein. Wer sich die Widerstands-Werkstatt Wendland mal aus der Nähe ansehen möchte und spontan genug ist, ist hiermit herzlich eingeladen, gleich im Anschluss an die Konferenz nach Norden aufzubrechen. Aktuelle Infos auf www.castor.de

Und vom 3. bis 5. Februar wird es - ebenfalls im Wendland - eine Tagung mit dem Titel ZUGABe geben. ZUGABe steht für Ziviler Ungehorsam, Gewaltfreie Aktion, Bewegung. Auf dieser Tagung wollen wir bewegungsübergreifend die Perspektiven des Zivilen Ungehorsams für die nächsten Monate und Jahre diskutieren. Und vielleicht entstehen dort auch konkrete neue attraktive Aktionsideen. Zu dieser Tagung seid Ihr herzlich eingeladen. Mehr unter www.tagung-zugabe.de

Protest ist, wenn ich sage, was mir nicht passt.

Widerstand ist, wenn ich alles versuche, um das, was mir nicht passt, zu verändern.

Im Wendland sagen die Leute dazu: Wir stellen uns quer.

In diesem Sinne wünsche ich mir und euch, dass es uns in den kommenden Monaten gelingt, mehr Widerstand zu organisieren und mehr Menschen dazu zu bewegen, sich querzustellen.

Jochen Stay

(X-tausendmal quer)



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